T. Schneider u.a. (Hrsg.): Ortsnamenbuch des Kantons Bern

Cover
Titel
Ortsnamenbuch des Kantons Bern. [Alter Kantonsteil], I Dokumentation und Deutung, Vierter Teil: N– B


Herausgeber
Schneider, Thomas Franz; Erich Blatter
Erschienen
Basel 2011: A. Francke Verlag
Anzahl Seiten
512 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Weber Berchtold

Wer das vom unvergessenen Mundartforscher Paul Zinsli begonnene Werk kennt, darf sich heute freuen, denn unter der neuen Leitung von Elke Hentschel konnte nur gut zwei Jahre nach dem dritten Teil schon der vierte erscheinen. Und diesmal sind es ganze 780 (halbseitige) Spalten, in denen die Stichworte zwischen «Näbe» und «mons vocatur Byninguen» zu finden sind. Jedes Mal aufs Neue staunt man über den Reichtum unseres Kantons an Benennungen für Ort und Flur, für «Grund und Grat», um den Begründer des Werkes ehrend zu zitieren.

Wie schon in den früheren Bänden lässt sich aus den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Belegstellen, die jeweils die einzelnen Artikel einleiten, die Entwicklung des geschriebenen und des gesprochenen Ortsnamens ablesen. Im zweiten Teil jedes Artikels wird versucht, die Etymologie des Namens aufzuhellen. Vieles ist für Berndeutsch Sprechende selbstverständlich, wird aber für Nicht-Berner, und an sie richtet sich das Buch genauso wie an Hiesige, sorgfältig in den germanistischen Kontext gestellt. Spannend wird die Lektüre der etymologischen Ansätze bei Namen, von denen man selber schon mehrere Deutungen gehört hat. So zum Beispiel beim Niesen. Über eineinhalb Seiten erstreckt sich die sorgfältige Abwägung der möglichen und wahrscheinlichen Ursprünge. Namen aus der gallorömischen Sprache wie etwa jener des Baches Önz findet man ebenso wie solche, bei denen auch der keltisch-lateinische Ansatz versagt. So muss etwa beim Stichwort Oltsch- ein Rückgriff auf frankoprovenzalisches Wortgut gesucht werden.

Den jetzt vorliegenden Band hat man aber mit besonderer Spannung erwartet, denn hier steht nun endlich das Stichwort Bern. Welche Erklärung des Namens haben sich die Ortsnamenforscher wohl als die richtige ausgesucht? Die Sache mit der Bärenjagd nach Justinger? Den Hinweis auf «taberna» in der Peutingerschen Tafel, wie Paul Hofer vermutet hat? Die Ableitung aus Brenodurum, dem wahrscheinlichen Namen der gallorömischen Siedlung auf der Engehalbinsel? Oder am Ende den Hinweis auf Welsch-Bern, Verona, mit dem Ferdinand Vetter vor über hundert Jahren die Namensfrage als ein für alle Mal geklärt hielt? Man muss auch heute noch dem genannten Germanisten grosse, charismatische Überzeugungskraft zugestehen. Er hat damals nicht nur erreicht, dass jedermann seine Namenserklärung für die einzig mögliche hielt, sondern er, der nicht eben kirchliche Mann, hat auch alle für das Projekt begeistern können, den Berner Münsterturm endlich zu «vollenden». Zwar lassen die Autoren offen, dass ein vorgefundener Flur- oder Flussabschnittsname die Namensgebung beeinflusst haben könnte, doch schreiben sie wörtlich «Bern ist Erinnerungs- und Programmname…». Der Schreibende hat hier seine Zweifel. Warum hat erst Berchtold V. eine neu gegründete Stadt in Verehrung für Dietrich von Bern so benannt, warum nicht schon einer seiner Vorfahren bei den vielen Neugründungen in den 130 Jahren, die seit der Verleihung der Markgrafschaft Verona an Berchtold I. verflossen waren? Ist es heute noch verantwortbar, dem Mittelalterverständnis eines Sprachgelehrten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer so heiklen und durch keine Quellen belegbaren Frage Glauben zu schenken? Wäre vielleicht doch ein «nescimus, wir wissen es nicht» ehrlicher gewesen?

Im Ganzen gesehen ist es aber ein unglaublich reiches Buch, eine grossartige Grundlage für Forschungen auf verschiedensten Gebieten. Für den interessierten Laien sind auch in diesem Band eine erklärende Liste der Fachausdrücke und ein Sachglossar im umfangreichen Einleitungsteil enthalten. Neu aufgenommen wurde ein Verzeichnis der häufigsten Suffixe und der gängigen Ortsnamen-Endungen. Leider ist der Wunsch des Schreibenden, der beim dritten Band vorgeschlagen hatte, man könnte Begriffe wie «Kilchhöri» oder «Zelg» hinzufügen, nicht in Erfüllung gegangen. Und weiterhin legt der Stadtkämmerer dem Rat die Rechnung vor. Ist das Wort Säckelmeister wirklich tabu? Man kann sich bei einem Buch über bernische Themen generell fragen, ob man sich bundesdeutscher Sprachgewohnheit beugen muss. Das betrifft auch den hier Berthold geschriebenen Namen unseres Stadtgründers, der in der Handfeste als Berctoldus und am Zähringerbrunnen wie auch am Zytglogge mit Berchtoldus bezeichnet
wird.

Hoffnungsfroh stimmt jedoch der Hinweis im Vorwort, dass bereits parallel zur Fertigstellung des vorliegenden Bandes am fünften Teil gearbeitet wurde. Er wird die Buchstaben Q, R und S umfassen. Wir freuen uns darauf!

Zitierweise:
Berchtold Weber: Rezension zu: Schneider, Thomas Franz; Blatter, Erich (Hrsg.): Ortsnamenbuch des Kantons Bern [Alter Kantonsteil], I Dokumentation und Deutung, Vierter Teil: N– B / P. Tübingen und Basel: A. Francke 2011. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 75-77.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 75-77.

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